Die Kunst des Vorausschauens
Kolumne von Christian Rieder zur «Ars Praevidendi» im Schulalltag
In einer Welt, die von ständiger Veränderung und unvorhersehbaren Ereignissen geprägt ist, scheint es fast paradox, über die Bedeutung des Vorausschauens zu sprechen. Doch gerade in dieser paradoxen Spannung entfaltet sich die wahre Macht, die unsere Schüler:innen befähigt, den Herausforderungen des Lebens mit Zuversicht und Gelassenheit zu begegnen.
«Das Denken muss vor allem vorausdenken», heisst es so treffend – nicht nur in der Schifffahrt. Dieser scheinbar einfache, aber tiefgründige Grundsatz verdeutlicht die Notwendigkeit, nicht nur im Hier und Jetzt zu verweilen, sondern die Zukunft stets im Blick zu behalten, um gegenwärtige Herausforderungen geschickt zu meistern. Für Schüler:innen bedeutet dies, dass sie lernen müssen, über die unmittelbaren Anforderungen hinauszudenken und die langfristigen Konsequenzen ihres Tuns – oder zuweilen auch Nichttuns – in ihre Überlegungen einzubeziehen.
Die Rolle der Planung und Organisation
«Wer es versäumt, zu planen, plant das Versagen», wusste schon Benjamin Franklin, dessen Eltern dem wirtschaftlichen Druck in England entflohen und hoffnungsfroh das Schiff nach Boston im fernen Amerika bestiegen.
Planung und Organisation sind in diesem Kontext Ausdruck einer tiefen Auseinandersetzung mit der eigenen Existenz. Wer plant, reflektiert insbesondere über die eigene Zeit und deren begrenzte Natur. Diese Reflexion führt zu einer bewussteren Gestaltung des Alltags, bei der jede Handlung und Entscheidung in einen grösseren Zusammenhang gestellt wird. Schüler:innen, die ihre Aufgaben und Zeit strukturieren, erkennen die Wichtigkeit der Zeit als Ressource und nutzen sie klug.
Zielsetzung als philosophisches Prinzip
Die Zielsetzung kann als philosophisches Prinzip verstanden werden, das Orientierung in einem Meer von Möglichkeiten bietet, ähnlich wie der Kompass den Seefahrern der grossen Entdeckungsreisen des 15. und 16. Jahrhunderts. Diese Pioniere durchquerten unbekannte Gewässer und verliessen sich auf ihre visionäre Vorstellungskraft und klare Zielsetzungen, um neue Horizonte zu erschliessen.
Wie die Seefahrer durch ihre Zielsetzungen die Weltkarten erweiterten, befähigt eine klare Zielsetzung auch Schüler:innen, ihre intellektuellen und persönlichen Grenzen zu überschreiten. Das Streben nach einem klaren Ziel ist ein Akt der Selbstbestimmung und des Mutes. Es hilft Lernenden, Herausforderungen als Gelegenheiten zur Erweiterung ihres Horizonts zu betrachten. In diesem Sinne ist die Zielsetzung nicht nur ein pragmatisches Werkzeug, sondern ein philosophisches Prinzip, das das Streben nach Wissen und Erkenntnis leitet.
Problemlösung und Verantwortung
Problemlösung ist eng mit dem Prinzip der Verantwortung verknüpft und stellt eine zentrale Fähigkeit dar, die es uns ermöglicht, auf die Herausforderungen des Lebens konstruktiv zu reagieren. Ähnlich wie Seefahrer, die auf ihren Reisen unvorhersehbare Hindernisse überwinden mussten, erfordert effektive Problemlösung ein hohes Mass an Verantwortungsbewusstsein und Eigeninitiative.
Die Übernahme von Verantwortung bedeutet, sich den Problemen zu stellen und Lösungen zu suchen, anstatt vor ihnen zu fliehen oder sie zu ignorieren. Dieses Prinzip fördert nicht nur die persönliche Entwicklung, sondern auch die kollektive Fähigkeit, gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen. Indem wir Verantwortung übernehmen, entwickeln wir ein tieferes Verständnis für die Konsequenzen unseres Handelns und lernen, bewusstere Entscheidungen zu treffen. Für Schüler:innen bedeutet dies, dass sie durch die aktive Auseinandersetzung mit Problemen und das Entwickeln von Lösungsstrategien nicht nur ihre intellektuellen Fähigkeiten schärfen, sondern auch ihre Resilienz und Selbstwirksamkeit stärken.
Stressreduktion und innere Ruhe
Ein weiterer wesentlicher Aspekt des vorausschauenden Denkens ist die Reduktion von Stress. Durch eine vorausschauende Planung und Vorbereitung können Schüler:innen die Unsicherheit und den Druck, der oft mit unvorhergesehenen Ereignissen einhergeht, minimieren. Epikur, ein grosser Denker der Antike, lehrte, dass das Streben nach Ataraxie – innerer Ruhe und Unerschütterlichkeit – ein zentrales Ziel des menschlichen Lebens ist. Vorausschauendes Denken ist ein Mittel, um diese innere Ruhe zu erreichen, indem es Schüler:innen hilft, sich sicher und vorbereitet zu fühlen.
Selbstdisziplin und Selbstmanagement
Schliesslich fördert das Vorausschauen die Selbstdisziplin und das Selbstmanagement. Diese Fähigkeiten sind nicht nur im schulischen Kontext wichtig, sondern bereiten Schüler:innen auch auf die Anforderungen des Erwachsenenlebens vor.
So spielte Selbstdisziplin und Selbstmanagement auch bei den Entdeckern des 15. und 16. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle. Diese Qualitäten waren entscheidend für den Erfolg ihrer Expeditionen und das Überleben in oft extremen und unbekannten Umgebungen. Die Entdecker mussten ihre Ressourcen wie Lebensmittel und Wasser sorgfältig planen und verwalten, um das Überleben der Besatzung und ihrer selbst zu sichern. Eine akribische Routenplanung und die Antizipation möglicher Gefahren waren unerlässlich. Eine klare Kommandostruktur und die Fähigkeit, Konflikte zu bewältigen, halfen, Ordnung und Effizienz auf den Schiffen zu gewährleisten. Durch Selbstdisziplin überwanden die Entdecker extreme Wetterbedingungen und psychologischen Stress, und ihre Anpassungsfähigkeit ermöglichte es ihnen, auf unvorhergesehene Herausforderungen zu reagieren.
Langfristige Visionen, eine starke innere Motivation und Zielstrebigkeit waren nötig, um Expeditionen erfolgreich zu planen und durchzuführen. Gleichzeitig mussten die Seefahrer bereit sein, erhebliche Risiken einzugehen, was eine ordentliche Portion Selbstvertrauen voraussetzt. Und nicht zuletzt brauchten sie vor allem eines: Durchhaltevermögen. Diese Qualitäten, die die grossen Entdecker – und, denken wir zum Beispiel an Jeanne Baret, Entdeckerinnen – auszeichneten, sind auch heute für Schüler:innen von zentraler Bedeutung. Die Fähigkeit, sich selbst zu managen und diszipliniert zu handeln, ist ein Zeichen von Autonomie und Selbstverwirklichung, wie sie später von Philosophen wie John Stuart Mill nicht grundlos betont wurde.
Immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel
Das Vorausschauen ist mehr als nur eine praktische Fähigkeit; es ist eine philosophische Haltung, die Schüler:innen befähigt, ihr Leben bewusst und verantwortungsvoll zu gestalten. In einer Zeit, die von rasanten Veränderungen und Unsicherheiten geprägt ist, bietet das vorausschauende Denken einen Anker der Stabilität und der Hoffnung. Es lehrt uns, dass die Zukunft nicht etwas ist, das uns widerfährt, sondern etwas, das wir aktiv mitgestalten können – und sollen.
In diesem Sinne ist die Kunst des Vorausschauens nicht nur ein Werkzeug für den schulischen Erfolg, sondern eine wesentliche Lebensphilosophie, die unsere Schüler:innen auf ihrem Weg zu mündigen und verantwortungsbewussten Menschen begleitet.
Dass in den Lerncoachings bei fit4school die Kunst des Vorausschauens gelehrt wird, ist nicht dem Zufall geschuldet.
Christian Rieder
fit4school Lerncoachings: https://fit4school.ch/lerncoaching/