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Pascal Ryf: Sind unsere Kinder gestresst?

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Dem Vernehmen nach sei Stress bei Kindern und Jugendlichen weit verbreitet. Doch stimmt das überhaupt? Und wie könnte man darauf reagieren, wie kann man gestressten Kindern und Jugendlichen helfen? Wir haben bei Pascal Ryf nachgefragt, dem Geschäftsleiter der Stiftung fit4school und Präsidenten der Bildungs-, Kultur- und Sportkommission des Kantons Basel-Landschaft.

| von Christian Rieder |

Pascal Ryf, sind die Schülerinnen und Schüler von heute gestresst?

So allgemein formuliert trifft das nicht zu. Mindestens nicht auf die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler. Aber für rund die Hälfte der Kinder und Jugendlichen in der Schweiz – und das ist besorgniserregend – gehören Leistungsdruck und Überforderung heute zum Alltag, Stress für über ein Drittel. Stress bei Kindern und Jugendlichen ist also weit verbreitet, wobei dieser mit dem Alter der Kinder sogar zunimmt. Und er erfasst junge Frauen deutlich mehr als junge Männer.

Sie sagen, der Stress nehme mit dem Alter der Kinder zu. Heisst das, dass sich bereits jüngere Kinder gestresst fühlen?

Das muss ich leider bejahen. Das stellen wir bei fit4school häufiger fest. Ich war aber auch viele Jahre Lehrer und Schulleiter. Auch an den Schulen ist das klar zu erkennen. Vor kurzem hat die Pro Juventute eine wissenschaftliche Stress-Studie veröffentlicht, die den Eindruck nun mehr als deutlich bestätigt. Mehr als 45 Prozent der über 14-jährigen Jugendlichen zeigen ein hohes Level an Stress. Aber bereits über ein Viertel der unter 12-Jährigen weisen hohe Stresswerte auf. Das ist gar nicht gut.

Wie nehmen die Kinder und Jugendlichen diesen Stress wahr?

Sie realisieren, dass sie sich den an sie gestellten Anforderungen, Erwartungen und Aufgaben nicht gewachsen fühlen. Das führt zu einer starken psychischen Belastung. Und diese wiederum verstärkt das Gefühl der Überforderung. Für viele Kinder und Jugendliche beginnt damit ein selbstverstärkender Negativkreislauf. Kinder – aber wohlverstanden auch Erwachsene – reagieren darauf psychisch, zuweilen sind die hervorgerufenen Reaktionen plötzlich auch physischer Natur. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Bei praktisch allen zeigt sich aber eine Verschlechterung der Schulleistungen. Der Druck wird höher und höher.

Woher kommt dieser starke Leistungs- und Erwartungsdruck?

Man könnte meinen, der Leistungs- und Erwartungsdruck komme unmittelbar von den Eltern, oder die Lehrerinnen und Lehrer seien schuld. Doch das stimmt in den meisten Fällen nicht. Gerade Jugendliche bauen sich den Druck überwiegend selbst auf.

Jugendliche bauen sich den Druck überwiegend selbst auf.

Sehr viele Kinder und Jugendlichen setzen sich selbst unter Leistungsdruck, weil sie immer alles möglichst gut erledigen wollen. 40 Prozent der gestressten Jugendlichen führen ihren Stress sogar selbst auf die eigenen Leistungsansprüche zurück. Das hat die wissenschaftliche Erhebung im Rahmen der Juvenir-Studie der Jacobs Foundation ergeben.

Weshalb setzen sich die Jugendlichen selbst derart unter Druck?

Zum grossen Teil aus Verunsicherung und Angst um ihre berufliche Zukunft. Erfolg in Schule, Ausbildung, Studium und Beruf besitzt für die Schweizer Jugendlichen höchste Priorität: Für über 90 Prozent ist der Erfolg hierbei wichtig; für über die Hälfte der Jugendlichen sogar sehr wichtig. Auch das geht aus der Juvenir-Studie hervor.

Traurig ist, dass die Jugendlichen für ihre ausgeprägte Leistungs- und Erfolgsorientierung einen hohen Preis zahlen; sie sind zentrale Ursache von Stress und Überforderungserfahrungen.

Dabei dürfen wir aber keinesfalls die sozialen Stressoren übersehen. Streit mit den Eltern, Mobbing oder zum Bespiel Streit in der Schulklasse, auch soziale Stressoren gehören zu den häufigen Auslösern von Stress bei Kindern und Jugendlichen.

In der Familie miteinander reden ist ausserordentlich wichtig, gerade wenn es darum geht, den Stresslevel tief zu halten.

Die Beziehung, die die Kinder zu den Eltern haben und ob sie sich mit Problemen an die Eltern wenden können, vor allem aber eben auch, wie oft sie sich mit den Eltern streiten, steht in einem engen Zusammenhang mit ihrem Stresslevel. Das konnte die Stress-Studie der Pro Juventute nachweisen. Gleichzeitig reduziere sich der Stress der Kinder deutlich, je mehr sie das Gefühl haben, zuhause sowie bei der Freizeitgestaltung mitentscheiden zu können, sagt die Studie. Auch verringere sich der Stress im Vergleich mit den anderen Kindern und Jugendlichen, je stärker sie den Eindruck haben, dass sich ihre Eltern für sie interessieren.

In der Familie miteinander reden ist ausserordentlich wichtig, gerade wenn es darum geht, den Stresslevel tief zu halten. Das entspricht haargenau meinen Erfahrungen.

Und wie können die Kinder und Jugendlichen ihren Stress selbst reduzieren?

Ein wichtiges Element ist die Frei- und Erholungszeit, Zeit, die den Kindern und Jugendlichen zur freien Verfügung steht, freie Zeit, die sich selbst einräumen. Dabei geht es aber nicht um die Menge an Zeit, sondern vielmehr darum, in welcher Art und Weise diese genutzt wird.

Kinder und Jugendliche brauchen Zeitmanagementkompetenzen.

Investieren Kinder und Jugendliche ihre freie Zeit in Aktivitäten wie Sporttraining, Musiküben oder Treffen mit ihren Freundinnen und Freunden, dann sind sie auch weniger gestresst. Zeigen sie aber bereits hohe Stresswerte, dann fühlen sie sich selbst durch ihre Freizeitbeschäftigungen gestresst. Kinder und Jugendliche brauchen also Zeitmanagementkompetenzen. Sie müssen lernen, ihre Zeit geschickt einzuteilen und richtig zu nutzen. Und das kann man lernen. Dabei können wir ihnen ganz direkt helfen.

Ist das ein Teil der fit4school Lerncoachings?

Ja, das kann ein Teil sein, sollten Kinder und Jugendliche Schwierigkeiten mit ihren Zielsetzungen, mit der Planung, ihrem Zeitmanagement und mit der Organisation ihrer Aufgaben haben. Wichtig ist ja, dass die Kinder und Jugendlichen sich selbst managen lernen, ihnen zum Beispiel also nicht ein Zeitplan vorgegeben wird; dann machst du deine Hausaufgaben, dann lernst du auf den Test, dann gehst du ins Tennis und so weiter.

Innerhalb der persönlichen Lerncoachings vermitteln wir Kindern und Jugendlichen für sie passende, ganz individuelle Strategien, Methoden und Techniken, mit denen sie ihren Schulalltag selbstverantwortlich und ausgeglichen gestalten lernen, Selbstlernkompetenz aufbauen und vor allem die Freude am Wissen und den Spass am Lernen gewinnen.

Ihre Coaches sind relativ jung, häufig sind sie unter 30 Jahre alt.

Unsere Coaches sind relativ jung. Und das ist wichtig, denn nur so können sie Kindern und Jugendlichen Orientierung auf Augenhöhe geben, was fest zum Konzept der Lerncoachings gehört, die die Stiftung fit4school für die Kinder und Jugendlichen entwickelt hat.

Der vermeintliche Druck der Eltern ist eine gewichtige Ursache der Stressbelastung.

Ich habe vorhin gesagt, dass der Leistungs- und Erwartungsdruck nicht unmittelbar von den Eltern komme. Aber viele Kinder und Jugendliche haben das subjektive Gefühl, dass ihre Eltern zu hohe Erwartungen an sie stellen und dass sie diese Erwartungen nicht erfüllen können. Das bestätigt auch die wissenschaftliche Stress-Studie der Pro Juventute. Dieses subjektive Gefühl, dieser vermeintliche Druck der Eltern, ist eine gewichtige Ursache der Stressbelastung.

Unsere Coaches können Orientierung geben, Vorbild sein, ganz anders, als dies den Eltern möglich ist.

Die Coachings für die Kinder und Jugendlichen zielen also gewissermassen aufs Selbstmanagement ab?

Ja. Der Begriff Selbstmanagement bezeichnet ja die Kompetenz, die eigene persönliche, schulische und berufliche Entwicklung weitgehend unabhängig von äusseren Einflüssen zu gestalten. Natürlich können Sie ein achtjähriges Kind nicht einfach sich selbst überlassen. Aber mit zunehmendem Alter müssen Kinder immer selbständiger werden. Wenn sie das Zutrauen haben, selbst über ihre persönliche, schulische und berufliche Entwicklung zu entscheiden und diese auch selbst beeinflussen zu können, dann lösen Sie vor allem eins aus: Selbstmotivation.

Aber mit Motivation allein löst sich ja Stress nicht in Luft auf. Verstärkt sich der Druck, den sich die Kinder und Jugendlichen selbst machen, dadurch nicht sogar noch weiter?

Nein, das tut er nicht. Allerdings ist Selbstmotivation nur ein Teil des Selbstmanagements. Es gehören weitere Teilkompetenzen dazu, die Fähigkeit zur Zielsetzung, zur Planung, erwähntes Zeitmanagement, die eigene Organisation, aber ebenso auch die Fähigkeit gut und effizient zu lernen und im richtigen Moment Wissen abrufen zu können. Die eine Teilkompetenz bedingt die andere. Deshalb erfassen die fit4school Lerncoachings alle diese Kompetenzen, wenn auch wir die Schwerpunkte nur dort setzen, wo sie auch nötig sind. Wir dürfen nicht vergessen, Kinder und Jugendliche sind Persönlichkeiten mit sehr individuellen Stärken und Schwächen. Das berücksichtigen wir.

Selbstmanagement führt zum Erfolg?

Ja, Selbstmanagement führt zum Erfolg, zu persönlichem Erfolg. Und Erfolgserlebnisse vermögen den Stress als sich selbstverstärkender Negativkreislauf zu durchbrechen. Erfolgserlebnisse bauen Selbstbewusstsein auf, Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten. Die Freude am Wissen und der Spass am Lernen kehrt zurück.

Man kann vielen Kindern und Jugendlichen einfach helfen, wenn man sie zum Selbstmanagement befähigt.

Man kann im Grunde vielen Kindern und Jugendlichen ganz einfach helfen, wenn man sie zum Selbstmanagement befähigt. Hierbei können wir mit den Lerncoachings unterstützen und wichtige Impulse geben.

Haben die Coronaauswirkungen den Druck auf die Kinder und Jugendlichen nochmals verstärkt? Sind Kinder und Jugendliche noch gestresster als vorher?

Das scheint ganz klar so zu sein. Die Fallzahlen bei den Schulpsychologischen Diensten zum Beispiel sind markant gestiegen. Die genauen Auslöser lassen sich allerdings noch nicht abschliessend beurteilen. Jedenfalls ist es noch zu früh, Schlüsse daraus zu ziehen. Wir alle sollten aber den Kindern und Jugendlichen zuliebe aufhören, diese Fragestellung hochzuschaukeln. Die Kinder und Jugendlichen haben Voraussetzungen, die sie nutzen sollen. Immer schon wirkten positive wie auch negative Faktoren auf sie. Entscheidend ist, dass sie ihre Potenziale so optimal als möglich nutzen. Dabei müssen wir sie unterstützen und ihnen sicher nicht einreden, sie hätten halt Nachteile erlitten.

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